Sicherheit liegt in dir

Wie können wir uns in einer Welt der Unruhen, Krankheiten oder Verluste noch sicher fühlen? Gibt es so etwas wie Sicherheit überhaupt, wo doch das Leben eine stetiger Veränderungsprozess ist, nichts jemals ganz gleich sowie jeder Moment einzigartig und damit unberechenbar ist? Ja, es gibt Sicherheit. Sie lässt sich nicht im Außen finden und an etwas knüpfen, doch in unserem Inneren können wir den Zustand von Sicherheit erfahren.


Sicherheit ist kurz gesagt das Fehlen von Gefahr. Sie entspringt immer dem subjektiven Erleben. Was für den einen Menschen sicher ist, kann für einen anderen bedrohlich oder sogar lebensbedrohlich sein. Daraus lässt sich ableiten, dass unser Empfinden von Sicherheit weniger von der gegenwärtigen Situation abhängt als von unseren Erfahrungen oder frühen Prägungen.

Nehmen wir zwei Kinder. Das eine wächst auf in einer Familie, die ein offenes Haus hatte. Gäste waren herzlich willkommen, sowohl Erwachsene als auch Kinder tummelten sich, es war immer viel los und es gab zahllose Spielkameraden. Das andere Kind wuchs in einer Familie auf, die zurückgezogen lebte, lieber unter sich Ausflüge machte und wo das Kind mehr mit sich und seinen Phantasien war beim Spielen. Es ist wahrscheinlich, dass sich das erstere Kind in Gesellschaft anderer wohl und sicher fühlt, während es, wenn es alleine für sich ist, eher unruhig, gelangweilt oder unsicher ist. Das zweite Kind wiederum fühlt sich ganz im Gegenteil sicher, wenn es mit sich alleine ist, weil das ein vertrauter Zustand ist und wird vermutlich Probleme mit Sozialkontakten haben. Sicherheit hat also ganz viel mit dem Erlebten zu tun.


Die Wahrnehmung von Sicherheit

Um nun festzustellen, ob wir sicher sind oder nicht, brauchen wir unsere Wahrnehmung. In jedem Augenblick unseres Lebens werden Informationen gesammelt, um den Organismus zu schützen, das hat die Natur so eingerichtet. Sicherheit hat oberste Priorität, über sie wacht der älteste Teil unseres Gehirns, das Stammhirn. Dafür treffen die Wahrnehmungen unserer fünf Sinnesorgane (Exterozeption) auf die Wahrnehmungen aus dem Körperinneren (Interozeption) wie etwa Hunger, Durst, Krankheitszeichen etc. Die Gesamtheit dieser Wahrnehmungen wird als Neurozeption zusammengefasst und befähigt uns dazu einzuschätzen, ob eine Situation sicher, gefährlich oder lebensgefährlich ist. All diese Reize werden über unser autonomes Nervensystem kommuniziert bzw. im Stammhirn interpretiert. Im Zustand von Sicherheit ist das Nervensystem reguliert, wir fühlen uns in Balance. Nehmen wir allerdings eine Bedrohung wahr, geraten wir in den dysregulierten Zustand der Über- oder Untererregung. An diesem Punkt kommen die Überlebensstrategien Kampf, Flucht und Erstarrung zum Einsatz.

Das ist, was sich im Hintergrund abspielt – doch wie äußert sich das? Übererregung lässt uns beispielsweise nervös, gereizt und rastlos sein. Es fällt uns schwer, uns zu konzentrieren, wir suchen nach Ablenkung durch immer neue Reize wie etwa Shopping, Rauchen, Alkohol oder übermäßiges Essen. Untererregung lässt uns apathisch und antriebslos sein, oft verbunden mit depressiven Stimmungen und emotionaler Taubheit, das Leben fühlt sich fahl und leer an. Herrscht im einen Fall das Chaos und im anderen die Starre, ermöglicht uns die ausgeglichene Mitte ein angenehmes Schwingen zwischen Aktivität und Entspannung, wir fühlen uns gut verbunden mit uns selbst, mit unseren Mitmenschen und der Umwelt. Unser Leben ist in Fluss.


Leben mit einem Empfinden von Sicherheit

Wie nützt uns das Wissen um die Zustände unseres Nervensystems und die Möglichkeiten, um es in Balance zu bringen (die hier noch zur Sprache kommen werden)? Die Überlebensmodi Kampf, Flucht und Erstarrung, die im Fall einer bedrohlichen Situation unser Leben schützen, sind nicht für den Dauereinsatz gedacht. Um das besser zu verstehen, braucht es einen Blick auf die Physiologie unseres Körpers: Verdauung, Immunsystem, Sexualität oder Sozialkontakte sind im Moment der Bedrohung des Lebens nicht relevant. Die Energie wird von dort „abgezogen“ und dem Herz, der Atmung oder den Muskeln zur Verfügung gestellt, damit wir schnell rennen oder uns verteidigen können.

Ist die Gefahr gebannt, kehrt das Nervensystem aus dem dysregulierten Zustand der Über- oder Untererregung wieder in den regulierten Zustand zurück. So der Idealfall. Bedauerlicherweise können wir aus unseren frühen Kindheitserfahrungen Konditionierungen mitgenommen haben, die uns dazu bringen z.B. immer zu leisten, alles perfekt oder es anderen recht zu machen. Wir funktionieren in einem dauerhaft angespannten Modus, was für den Organismus anstrengend ist. Dem zugrunde kann ein verzerrtes Empfinden von Sicherheit liegen. Wenn das Hamsterrad des Funktionierens – das einem Kampf gleicht, also einer Übererregung des Nervensystems – der gewohnte Zustand ist, dann ist das vertraut und wird als sicher empfunden, wenngleich es weit entfernt von einem regulierten Nervensystem ist, dem „Zuhause“, wo wir uns in Balance fühlen. Die Traumatherapeutin Deb Dana, die sich viel mit dem Nervensystem auseinandersetzt nennt diese fehlinterpretierte Sicherheit „Home away from home“.



Sicherheit fördert Wohlbefinden und erfüllende Beziehungen

Wenn wir in unser „wahres“ Zuhause zurückkehren, tun wir uns damit in vielerlei Hinsicht Gutes. Der Stress, den wir erfahren und nicht verarbeiten kann z.B. zu Schlaflosigkeit, Verdauungsproblemen oder noch tiefergehenden körperlichen Problemen führen. Sehr wahrscheinlich hält er uns auch davon ab, unser Leben derart zu leben und uns zu verwirklichen, wie wir es uns wünschen. Hat doch Natur diesen Stress eingerichtet, damit wir in gefährlichen Situationen sofort mit Kampf, Flucht oder Erstarrung handeln können, die Auswahl an Möglichkeiten ist eingeschränkt. Für kreative Prozesse, Genuss oder ein Ersinnen, wie ich mein Leben gestalten möchte fehlt schlicht die Ausgeglichenheit, die unser Gehirn bräuchte. Außerdem schränken uns die Überlebensmodi in Beziehungen ein, ist es doch schwierig, sich vertrauensvoll auf andere einzulassen, wenn wir Begegnungen als bedrohlich einstufen. Erst wenn wir uns sicher fühlen, ist Verbundenheit möglich.



INFOBOX

WAS TUN, UM IN BALANCE ZU FINDEN

Fokus auf die Gegenwart - komm ins Hier und Jetzt

Unsicherheiten, Sorgen und Ängste, die Stress auslösen können, schauen in die Zukunft auf das, was sein könnte. Bei der Rückkehr in die Gegenwart lässt sich ganz konkret feststellen, ob tatsächlich eine Bedrohung herrscht oder nicht.

Sehr hilfreich erweist sich dabei die Orientierung im Raum, in dem man sich befindet. Dafür beginnt man in aller Ruhe den Raum zu betrachten, so als würde man alle Details eines Gemäldes in sich aufnehmen wollen. Wichtig ist dabei, dass der ganze Kopf sich langsam zu den Seiten, nach oben und nach unten bewegt. Diese sanften Bewegungen und das, was wir beobachten, signalisiert unserem Gehirn, das im Hier und Jetzt alles in Ordnung ist und wir uns in Sicherheit befinden.

Eine weitere gute Möglichkeit weg von den Unsicherheiten der Zukunft zurück in die Gegenwart zu kommen ist, mit den Sinnen zu arbeiten. Dafür bieten sich Achtsamkeitsübungen nach der 5-4-3-2-1-Methode an. Man beginnt, fünf Dinge zu benennen, die man an dem Ort, an dem man sich befindet sieht. Danach werden vier Körperempfindungen aufgezählt wie etwa die Haare im Nacken, die Fußsohlen am Boden etc. Gefolgt von drei Dingen, die man hört, zwei, die man riecht und abschließend noch einen Eindruck dessen, was man gerade schmeckt.


Die Regulationskraft des Atems

Unsere Atmung ist eine wunderbar regulierende Kraft, das Besondere ist, dass wir sie bewusst einsetzen können. Schon ein paar tiefe, lange Atemzüge zu nehmen kann eine erste Unterstützung bringen. Wer es ausgiebiger möchte, kann es mit Nadi Shodana (Wechselatmung) ausprobieren, einer Atemtechnik aus dem Yoga, die dabei unterstützt, Energiezustände auszugleichen. Setz dich mit aufrechtem Rücken auf einen Stuhl oder wenn es möglich sit auf den Boden in einen Sitz mit gekreuzten Beinen oder den Fersensitz. Beuge Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand zur Handfläche, sodass die beiden Finger die Haut berühren; die anderen Finger bleiben gestreckt, kleiner Finger und Ringfinger liegen aneinaner. Eine kleine Vorschau auf das, was passieren wird: Die Übung wird so ausgeführt, dass die Hand mit der Fingerhaltung zum Gesicht geführt wird und abwechselnd Daumen oder Ringfinger das eine und das andere Nasenloch verschließen.

Schließe nun die Augen, atme ein paar Mal entspannt durch beide Nasenöffnungen aus und ein, dann verschließe mit sanftem Druck des Daumens das rechte Nasenloch und atme vollständig durch das linke ein. Atme wieder durch das linke, verschließe es dann mit dem Ringfinger und öffne das rechte, damit du hier ausatmen kannst. Atme durch das rechte Nasenloch wieder ein, verschließe mit dem Daumen, öffne links und so weiter. Um die Übung nach einigen Minuten zu beenden, atme links aus, löse die Handhaltung und atme gleichmäßig durch beide Nasenöffnungen weiter. Nimm dir etwas Zeit, um in deinem Körper und deinen Gedanken nachzuspüren. Anzeichen für eine Regulierung sind z.B. Seufzen, Durchatmen, sich entspannende Muskeln oder Gedanken, die wieder zur Ruhe kommen.


Ausgleich durch Bewegung

In Situationen, wo uns Gefühle richtiggehend "überfallen" und uns nicht mehr loslassen, kann Bewegung hilfreich sein. Sowohl im Falle von Übererregung, in denen wir uns nervös oder aufgekratzt fühlen, wo sie uns hilft, das Übermaß an Energie abzubauen, als auch wenn wir uns antriebslos und leer fühlen kann Bewegung hilfreich sein. In letzterem Fall bringt sie uns regelrecht in Schwung. Wichtig ist, ein gutes Maß und eine zu meinen Bedürfnissen passende Form an Bewegung zu finden. Für einen Menschen im Leistungsmodus könnte das bedeuten, nicht unbedingt auf ein Marathontraining zu setzen, sondern auf einen gemütlichen Waldspaziergang oder vielleicht eine Teamsportart, die aus Vergnügen betrieben wird.



LITERATUR

Leben mit der Polyvagal-Theorie: In Sicherheit verankert
Deb Dana, 2023


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